Sie läuft mit verbundenen Augen bei Demonstrationen in Hongkong mit: die Künstlerin und Aktivistin Wen Yau. In Leipzig zeigt sie derzeit ihre Installation „Wir sind das Volk!“. Im Interview spricht sie auch über ihre Verbindung zur Friedlichen Revolution in Leipzig.
Muss Kunst für Sie politisch sein?
Ich denke nicht, dass Kunst immer politisch sein muss. Politisch bezieht sich für mich in erster Linie auf Machtverhältnisse und -strukturen. Die Ausstellung in Leipzig heißt „Die Enden der Freiheit“ und in diesem Zusammenhang führt kein Weg an Politik vorbei. Ich habe eine politische Botschaft in meiner Kunst, aber ich betrachte sie nicht als Protest, sondern sehe sie klar in einen Kunst-Kontext. Aber ich kann den Menschen in Hongkong mit meiner Kunst eine Stimme geben.
Kann Kunst Veränderungen bewirken?
Ich denke, wir können Dinge nicht in einer Sekunde oder in einer Minute verändern. Aber wenn ich beispielsweise meine Performance aufführe, kommen hinterher manchmal Leute zu mir, die mir sagen, dass sie davon berührt wurden. Wir können nicht die ganze Welt verändern, aber einen Butterfly-Effect auslösen. Wenn ich eine Person ändere, ändert sie eine andere und so weiter …
Als Aktivistin haben Sie in den letzten fünf Monaten an den Protesten in Hongkong teilgenommen. Wie ist die Situation im Moment? Gibt es Verbesserungen?
Aus Sicht der Regierung sind die Proteste gewaltsamer geworden. Aber für mich wird diese Gewalt von der Polizei ausgelöst. Die Polizei missbraucht ihre Macht. Menschen können ohne Grund festgenommen, zusammengeschlagen oder sogar getötet werden. Gleichzeitig sehe ich, wie wir uns in den Protesten weiterentwickeln. Wir glauben noch immer an den friedlichen Protest. Die Menschen in Hongkong sind sehr folgsam und räumen nach Demonstrationen immer auf und sorgen für Ordnung. Das ist wirklich verrückt. Mittlerweile haben sich die Proteste aber verändert. Es gibt auch Vandalismus gegen Geschäfte, die offen die Regierung unterstützen. Das ist keine ganz einfache Situation. Denn es gibt auch Gruppen, die keine gewaltfreie Linie vertreten. Obwohl das schwierig zu vereinen ist und es unterschiedliche Protestformen gibt, herrscht eine große gegenseitige Unterstützung und Solidarität unter den Protestierenden.
Haben Sie die Hoffnung, dass es eine Veränderung in Hongkong geben wird?
Das ist wirklich sehr schwer zu sagen. Ich habe die starke Überzeugung, oder Hoffnung, dass eine Veränderung kommen wird. Nicht nur eine Veränderung in der Regierung, sondern ich sehe die Veränderung in den Köpfen der Menschen, die eine andere Gesellschaft schaffen wollen. Ich erlebe unter den Protestierenden eine große Solidarität und viel selbstloses Verhalten. Die Menschen passen in brenzligen Situationen und in Konfrontationen mit der Polizei aufeinander auf. Durch solche Erlebnisse habe ich Hoffnung. In einer Tragödie lernen wir aufeinander aufzupassen. Wir lernen jeden Tag etwas Neues dazu.
(extract from the interview by Lilly Günther for Leipziger Volkszeitung on the occassion of my performance in Leipzig as part of “The Ends of Freedom” exhibiton at Halle 14.)
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[published by Leipziger Volkszeitung, 14/11/2019]